Wir alle träumen davon, die wenigsten machen es wahr: Der eigene kleine (Online-)Shop, der sich voll und ganz unserer Leidenschaft, der Verarbeitung von Wolle, Seide und ähnlichen Fasern, widmet. Charlene hat mit ihrem Label „Regenbogenwolle“ den Schritt gewagt. Ein Blick hinter die Kulissen und in die Farbtöpfe.
Hinweis:
Dieser Text ist im Frühjahr 2020 im Magazin der Handspinngilde Mit Spinnrad & Spindel, Ausgabe 30, erschienen. Das gesamte Magazin und weitere Ausgaben können im Onlineshop der Handspinngilde erworben werden.
Ich bin ein bisschen aufgeregt. Nein, falsch. Ich bin sogar sehr aufgeregt. Denn gleich betrete ich die Werkstatt einer jungen Frau, deren Kreationen mich von Beginn meiner Spinnkarriere an inspiriert haben. Ich darf in die heiligen Hallen der Regenbogenwolle schauen, sehen, wie Charlene Wibbing ihr Business betreibt und sie interviewen, wie sie ihr eigenes kleines Label – ihren Traum und ihre Leidenschaft – hat Realität werden lassen.
Blick in den Kaninchenbau
Ein wenig verwirrt stehe ich in der Einfamilienhaus-Siedlung in Mettmann – mitten im Neandertal – und versuche, die angegebene Hausnummer ausfindig zu machen. Endlich stehe ich an der richtigen Tür, die sich auch direkt öffnet und Charlene steht vor mir. Sie ist offensichtlich mindestens so aufgeregt wie ich, denn eigentlich steht sie nicht so gern im Rampenlicht. Es hatte mich ein wenig Überredungskunst gekostet, sie interviewen zu dürfen. Doch die leichte Befangenheit verfliegt recht schnell und bewaffnet mit einem dampfenden Kaffee tauchen wir ab in den Kaninchenbau.
Und wie im Wunderland fühle ich mich denn auch, als ich das Wolllager der Regenbogenwolle betrete. Wobei, ‚Wolllager‘… Das klingt nach großer Halle und meterlangen Regalen. Tatsächlich ist der Raum kleiner als so manches Wohnzimmer. Aber vielleicht ist auch genau deshalb die Wirkung derart überwältigend: So viele Farben! Und eine schöner als die andere! Es ist eine wahre Explosion an Flausch und Farben. Ich weiß garnicht, wohin ich zuerst blicken soll. Natürlich entdecke ich gleich die Herbstfarben meines Beuteschemas. Doch hier, in all der Pracht und Vielfalt der Farben, gefallen mir sogar Blau und Pink. Immer wieder schillern glitzernde Fasern heraus, zwischen wunderschönen Kammzügen thronen Batts so traumhaft, dass sie einem Gemälde mühelos die Show stehlen könnten.
Unglaublich schnell kommen wir ins Gespräch, reden über unsere Leidenschaft für Wolle und wie Charlene dazu kam, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.



Wie alles begann

Eine künstlerische Ader hatte sie schon immer. „Das Mischen von Farben fiel mir stets leicht“, erinnert sich Charlene an ihre frühen Werke in Kindheitstagen. Ihr Zeichentalent lebt sie auch heute wieder aus, in wunderschönen Aquarellen oder einzigartig bemalten Spindelschalen aus Holz oder Porzellan (?). „Das Malen war eigentlich als Ausgleich zu meiner Arbeit gedacht, aber irgendwie sind die Bilder dann doch in meinen Shop gewandert, als Postkartenmotive“, lacht sie. Und auch die kommen – besonders in der Weihnachtszeit – gut an.
Die ersten Kammzüge, die sie in ihrem Leben gefärbt hat, hatte sie auch direkt verkauft. Sie waren der Start für „Regenbogenwolle“, die es anfangs nur auf der Onlineplattform DaWanda gab. „Damals, das war im Frühjahr 2014, habe ich mein Referendariat gemacht. Das erfüllte mich leider in keiner Weise und der kleine Shop war quasi mein Zufluchtsort“, sagt sie heute. Nicht verwunderlich also, dass ihr schnell klar wurde: Der Schulbetrieb, ein Job im Lehramt, war nicht ihre Welt. Studiert hatte sie Biologie und Spanisch für die Gymnasialstufe. Nun trat sie eine Stelle am Anatomie-Institut in Köln an. „Eine elende Pendelei war das“, sagt die gebürtige Solingerin. Auch hier findet Charlene keine echte Erfüllung. Doch ihr kleiner Shop mit den wunderschön gefärbten Kammzügen wächst stetig. Ihr Gefühl für Farben bringt immer neue Kunstwerke hervor und findet freudige Abnehmerinnen. „An diese frühen Färbungen erinnere ich mich noch sehr gut. Sie haben sich bei mir eingebrannt.“
Irgendwann führte sie 3-Monats-Abos ein, die einen kleinen Grundumsatz für sie sicherstellten. „Schließlich muss ich ja beim Faser- und Farbenkauf in Vorleistung gehen. Das war nicht immer ganz leicht und natürlich mit dem Risiko verbunden, doch auf ihnen sitzen zu bleiben.“
Bereits 2015 eröffnete sie ihren eigenen Onlineshop, unabhängig von einer größeren Plattform. In der kurzen Spanne von knapp anderthalb Jahren hatte sie sich mit Regenbogenwolle einen starken Namen gemacht. Und doch sollte es noch bis 2017 dauern, bis sie den Schritt wagte und sich vollständig auf ihr Geschäft konzentrierte. Sie kehrte dem Job am Anatomie-Institut den Rücken und begann, ihr eigener Chef zu sein.
Zwischen Farbtöpfen und Papierkram
Doch was bedeutet es, eine Handfärberin zu sein? Jeden Tag schwelgen in Fasern und Farben? Nach Herzenslust und frohen Mutes neue Kunstwerke schaffen? Big Business?
„Ich glaub’, ich verdiene mit der Regenbogenwolle etwa so viel wie eine Friseurin“, holt mich Charlene aus meinen wolligen Träumen auf den Boden der Tatsachen zurück. „Eine Friseurin?“, denke ich. Ihre Aussage ernüchtert mich ein wenig, hatte ich doch gehofft, dass mit dem regelrechten DIY-Boom auch so kleine, sympathische Unternehmungen wie die Regenbogenwolle wieder eine langfristige und vor allem unabhängige Perspektive bekommen. Allzu häufig sind sie jedoch abhängig davon, dass der Lebenspartner einen ‚soliden Job‘ hat.
„Ich habe einen festen Färbetag im Monat, an dem ich mehrere Kilogramm Kammzüge am Stück färbe.“ Es muss sich schließlich lohnen, all das Wasser, das zum Färben benötigt wird, aufzuheizen. Lange hat sie nach geeigneten Werkzeugen gesucht und viel mit dem Färbebad experimentiert, bis sie endlich einen Prozess für sich gefunden hatte, der es ihr erlaubt, auch größere Mengen in einer bestimmten Färbung herzustellen. Ihr Färbewerkstatt grenzt direkt an ihr Wolllager. Hier stapeln sich Kisten und Kammzugballen, so groß, ich möchte mich direkt hineinwerfen. Die Wand rund um ihren Färbeplatz zeugt vom Eifer, der sie beim Arbeiten überkommt, und von der Vielfalt der Farben. Ganz offensichtlich taucht sie an ihren Färbetagen vollständig ab ins Mischen und Färben, Trocknen und Flechten. „Der Garten ist dann immer voll mit meinen Kammzügen, die ich dort zum Trocknen ausbreite.“ Wenn es regnet, sind die Verhältnisse etwas beengter, doch zum Glück ist der Platz direkt am Haus ein gutes Stück überdacht. Dort stehen dann die Wäscheständer, beladen mit massenhaft Fasern.



Oft färbt sie bis tief in die Nacht, merkt garnicht, wie die Zeit verstreicht. Bis zum nächsten Morgen, wenn ein schmerzender Rücken und Muskelkater in den Armen sie wecken.
Dann folgen die Tage der Büroarbeit. Schließlich wollen all diese Färbungen fotografiert und beschrieben werden, um sodann in den Shop zu wandern. Bestellungen müssen bearbeitet, Pakete gepackt werden. „Meine größte Sorge ist es, dass ich bei den Bestellungen irgendwas verwechsle“, lacht Charlene. Deshalb hat sie sich ein eigenes, spezielles Verfahren ausgedacht, mit dem sie solche Fehler nahezu ausschließen kann. „Natürlich klappt das nicht immer zu 100 Prozent, aber zum Glück sind fast alle meine Kundinnen sehr entspannt. Auch sie wissen, dass Fehler vorkommen können, melden sich dann und wir können den Irrtum beheben.“ Und die wenigen Ausnahmen, in denen es doch mal mit Ärger verbunden ist, kann sie noch an einer Hand abzählen. „Und natürlich ist dann da noch all der Papierkram, der erledigt werden muss, wenn man ein eigenes Unternehmen betreibt.“


Kraftvolle Farben sind ihr Markenzeichen
Charlene ruht in sich und in dem, was sie tut, das spürt man ihr deutlich an. Das positive Feedback ihrer Kundinnen gibt ihr die Kraft, auch die schwierigeren Phasen zu durchstehen und immer wieder Freude und Energie für ihre Arbeit zu finden. Inspiration für ihre Färbungen holt sich sich aus der Natur, aus Bildern oder auch bei anderen Färberinnen. „Besonders die amerikanischen Färberinnen inspirieren mich. Sie sind mutig und kraftvoll mit den Farben. Ich mag kräftige Färbungen viel lieber, als die pastelligen Töne.“ Das war von Beginn an so. „Ich habe stets viel Farbe verwendet, das hat sich bis heute nicht geändert. Aber mein Farbgeschmack hat sich mit der Zeit gewandelt.“ Waren es früher eher die kühlen Blautöne, begeistern sie heute auch mal die warmen Farben des Herbstes. Ihre eigenen Kammzüge spinnt sie jedoch eher selten. „Ich kaufe mir gern Kammzüge bei anderen Shops“, gesteht sie lächelnd. Das ist vermutlich wie beim Kochen. Wenn jemand anderes für dich kocht, schmeckt es meist viel intensiver, als wenn man selbst an den Töpfen stand. „Manchmal läuft mir aber ein Kammzug über den weg, dessen Färbung ich völlig vergessen habe. Da passiert es mir schon einmal, dass ich denke: ‚Hab ich den gefärbt?‘ und ihn voll Begeisterung verspinne.“
Ihr kennt sie sicher, diese Tage, an denen man einfach etwas Schönes braucht. Etwas, dass das Herz erfreut und die Sorgen des Lebens zumindest für eine Weile vergessen lässt. Das sind bei mir stets die Tage, an denen ich Charlenes Regenbogenwolle-Shop besuche und mich einfach mal wieder durch die komplette Rubrik „Spinnfasern“ scrolle. Meist geht es mir danach deutlich besser. Wenn auch vielleicht meinem Konto nicht…
