Wollstube

Das Böhmerwaldschaf und die „Ausbeute“

Manchmal hat man ja einfach Glück und ergattert rein zufällig ein ganz außergewöhnliches Vlies. Mir erging es so mit einem Vlies vom Böhmerwaldschaf. Das Böhmerwaldschaf ist eine alte und gefährdete Rasse, eher klein bis mittelgroß und vorwiegend weiß. Wobei schwarze, braune oder gescheckte Schafe auch vorkommen. „Die Mischwolle der Waldschafe ist eine der rassespezifischen Merkmale. Sie hat sich durch die jahrhundertelange Anpassung der Rasse an die rauen Lagen der Mittelgebirgsregionen entwickelt. Die Wolle besteht aus dem eher groben Kurzhaar, dem Lang- oder Grannenhaar und den sehr feinen Wollfasern die den Hauptanteil bilden.“ (Quelle)

Dieses Vlies nun sprach mich sofort an. So schöner Crimp (Wellen / Locken, die ein Indiz für gute Elastizität sind). Und so schöne goldgelbe Farbe… dachte ich in meiner Anfänger-Ahnungslosigkeit…

Das Vlies vom Böhmerwaldschaf ausgebreitet mit der Schnittseite oben.
Das Vlies von der Oberseite.
So schöner Crimp…
Im ganzen Vlies!

Ein außergewöhnliches Vlies

Das Vlies wog rund 2 kg, als es bei mir ankam. Es war offenbar ein komplettes Vlies, vermutlich von einem Lamm. Genau wusste die Besitzerin leider nicht, von welchem ihrer Schafe es kam. Normalerweise verkauft sie die Vliese wohl auch nicht an Handspinner, da die Wolle eher von der groben Sorte ist. Dieses Vlies fiel aber dem Schafscherer in die Augen und er sagte, es wäre zu schade, um es als Dämmwolle o. ä. zu verschleudern. Also bot sie es auf Facebook an. Und sagte auch gleich: Außergewöhnlich, nicht rassetypisch. Ihre anderen Schafe hätten bei weitem nicht so viel Crimp.

Es war auch die sehr verdreckte Bauchpartie mit bei und mir kam recht bald die Frage, wie viel Wolle ich wohl aus diesen 2 kg am Ende versponnen haben würde.

Sehr verdreckte Bauchpartie.

Wie viel Garn würde ich am Ende haben?

In diversen Facebook-Gruppen erhielt ich einige aufschlussreiche Antworten, die grob von durchschnittlich 60 % Ausbeute sprachen. 80 % wären dann eher „glückliche Vliese“. Es könnten aber auch mal nur 40 % sein. Die Frage ist immer: Wie viel Arbeit steckt man rein… Ok, keine Überraschung… Wie man im Bild oben gut sieht, hängen häufig viele Pflanzenreste im Vlies, die natürlich aussortiert werden. Und dann das Wollfett: Auch das hat einiges an Gewicht und wird beim Waschen (zum Teil) ausgespült.

Na gut, ran an die Arbeit. Ich habe das Vlies mit der Schnittkante nach unten ausgebreitet und mich dann von den Außenkanten nach innen vorgearbeitet. Immer schön einzelne Locken abgezupft, grobe Planzenteile aussortiert und geordnet zur Seite gelegt:

Sieht erst einmal nach einer Menge Sisyphus-Arbeit aus…
Locke für Locke arbeitete ich mich durch das Vlies.
Gestapelte Locken in Vorbereitung für die Wäsche.

Waschen der Wolllocken

Die einzelnen Locken habe ich dann in Waschnetze getan und portionsweise mit Unicorn Fibre Wash gewaschen. Für Power Score erschien es mir dann doch nicht verdreckt genug, zumal ich gern einen gewissen Rest an Wollfett in der Wolle erhalten wollte.

20 Minuten einweichen, keine Bewegung, ich wollt’s ja nicht verfilzen lassen. Die recht arg verklebten Spitzen bekam ich so natürlich nicht sauber. Vom Texelschaf hatte ich aber schon im Hinterkopf, dass ich das mit der Handkarde bearbeiten kann.

Nach dem ersten Waschgang kam dann die erste Erkenntnis: Die Wolle ist garnicht goldgelb, sondern eher wollweiß…

Das Waschnetz sorgt dafür, dass die Locken auch beim Waschen nicht wieder durcheinander geraten.
Die nun sauberen, nahezu schneeweißen Locken zum Trocknen ausgebreitet.
Die Spitzen sind noch deutlich verklebt.

Viele Wochen Arbeit

Auch der Crimp wurde etwas weniger, aber es „leierte“ nicht völlig aus. So zupfte und wusch ich mich mehrere Wochen immer an den freien Wochenenden durch das Vlies. Da wir aber auch immer wieder unterwegs waren, dauerte das erschreckend lange… Irgendwann gab’s dann mal wieder ein Wochenende mit „sturmfreier Bude“ und ich machte mich an die Verarbeitung der gewaschenen Locken… Ein gutes Hörbuch auf den Ohren („Nordische Mythen und Sagen“ von Neil Gaiman, war irgendwie sehr passend… ) kam ich an dem Wochenende sehr gut voran.
Die Spitzen wie gesagt mit der Handkarde ersteinmal aufgelockert, zu meinen Füßen eine Kiste für den reichlich heraus rieselnden Dreck und die Faser-Dreck-Klumpen, die in der Karde hängen bleiben: So ging der Dreck gut raus und die Spitzen ließen sich gut „öffnen“. Die Schnittkante habe ich nicht kardiert.

Die ersten gewaschenen Locken auf den noch ungewaschenen: Man sieht sehr deutlich den “Farbunterschied”.
Die Spitzen über die Karden ziehen, so bleibt der Dreck in der Karde.
Vorher – nachher: Aufgelockerte Spitzen.
Die Schnittkante ließ ich unkardiert.

Wolle kämmen

Die Locken habe ich dann auf meine Kämme gelegt und zu wunderbar wolkigen Kammzügen verarbeitet. Vor dem Kämmen habe ich noch ein wenig Öl-Wasser-Gemisch aufgesprüht (Olivenöl in Wasser mit ein paar Tropfen Spüli). Das erleichtert das Kämmen und reduziert die elektrische Aufladung der Fasern. Ich habe 4-5 Durchgänge gekämmt. Meine Erkenntnis hieraus: Je häufiger ich von einem auf den anderen Kamm kämmte, desto leichter ließ sich der Kammzug dann ziehen. Auch keine große Überraschung, aber trotzdem lehrreich.

Das Kammgarn entsteht

An diesem Wochenende habe ich natürlich nicht alles geschafft und es vergingen weitere Wochen… Zwischendrin habe ich aber immer mal wieder gesponnen. Als die ersten 3 Spulen voll waren, habe ich die Wolle 3-fach gezwirnt. Weitere Wochen später, mehr fertige Stränge, nach einem Entspannungsbad wurde die jeweilige Länge bestimmt.

Zu Strängen gewickelt ist das Garn bereit für das Entspannungsbad.
Zu Knäulen gewickelt, gewogen und die Länge vermessen.

Verarbeitung der Kamm-Reste

Doch bevor ich mein Ausbeute-Fazit berechnete, wollte ich erst noch die 2. Wahl verarbeitet haben. Die 2. Wahl war die Wolle, die ich beim Kämmen zur Seite gelegt hatte. In den Kämmen bleibt doch recht ordentlich was hängen und ich hatte gelesen, dass viele diese Wolle aufheben, kardieren und dann ebenfalls verspinnen. Natürlich wird diese Wolle nie so gut, wie die gekämmte Wolle, beinhaltet sie doch die kurzen, verknoteten und mit winzigsten Pflanzenteilen durchsetzten Fasern. Ich wollte aber wissen, welche Qualität ich dort noch raus bekommen würde. Patrick hatte mir schon im letzten Winter einen kleinen Wollwolf gebaut und mittlerweile war auch die Trommelkarde fertig. Mit dem Wolf habe ich die recht verdichteten „Wollklumpen“ ersteinmal aufgelockert:

Trommelkarde, gebaut von meinem Mann.
Mit dem Wollwolf werden die Locken aufgelockert.
Die Locken vor dem Wolfen.
Die Locken nach dem Wolfen und bereit zum Kardieren.

Resultat: Tweedartig

Dabei rieselte nochmal einiges an Dreck raus, aber leider nicht alles. Es war klar, dass das eher „tweedige“ Wolle werden würde. Auch hier habe ich 4-5 Druchgänge gekurbelt. Leider habe ich die fertigen Batts nicht fotografiert… war dann wohl zu ungeduldig und wollte ans Spinnrad.

Das Spinnen zeigte mir dann recht schnell: Diese Wolle ist nicht meins… Dass ich Kammzüge lieber verspinne als kardierte Fasern wusste ich ja schon. Es war also nur noch eine Bestätigung. Auch die fertige Wolle ist nicht mein Fall.

Die Kamm-Reste auf der Trommelkarde. Man sieht sehr gut die stark unterschiedlichen Faserlängen.
Hier mal ein Vergleich zweier Knäule, das linke aus den Kammzügen, das rechte aus den kardierten Resten.

Die Ausbeute: Wie viel Garn bekomme ich aus einem Vlies?

Nun zur Ausbeute:
Aus den rund 2 kg Böhmerwaldschaf habe ich 455 g Wolle 1. Qualität rausarbeiten können. Die 455 g habe ich zu 1.269 m 3-fach-Wolle versponnen. Das dürfte gerade so für eine Strickjacke reichen (hoffe ich… )

Hinzu kommen 198 g Wolle 2. Qualität, die ich zu 398 m 3-fach-Wolle versponnen habe. Diese werde ich vermutlich verweben und ordentlich walken. Mal sehen, wie viele qm Stoff ich dort rausbekomme. Das reicht dann vielleicht für einen Stoffbeutel…

Insgesamt habe ich also rund 750 g Garn aus einem etwa 2 kg schweren Vlies herausgearbeitet. Das ist etwas mehr als ein Drittel des Ausgangsgewichtes. Angesichts der vielen Pflanzenreste und des Wollfetts, das im Vlies enthalten war, kein ganz schlechtes Ergebnis. Wenn auch irgendwie ernüchternd…

Würde ich das wieder machen?

Da ich keinen Woll-Mangel habe und es ja nur ein Hobby ist, das mir Spaß machen soll, werde ich die Ausbeute künftig nicht mehr zwangsläufig so auswalzen. Ich verarbeite lieber möglichst gleichmäßige Wolle. Artyarn und ähnliches ist nicht so mein Fall. Das heißt, die Reste, die in den Kämmen hängen bleiben, enden künftig eher als Stopfwolle denn als Spinnwolle…

Das Böhmerwaldschaf hat mich ingesamt aber sehr begeistert. Es ist keine Schal-Wolle, aber für Jacken, Pullover, Handwärmer und ähnliches ist sie jedoch gut geeignet. Für Socken fände ich sie zu schade…

Jetzt muss ich noch ausknobeln, welche Jacke es werden soll und welche Farbe sie bekommen wird… Das Ergebnis werde ich dann zeigen… dauert aber sicher noch ein Weilchen.

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One thought on “Das Böhmerwaldschaf und die „Ausbeute“

  1. Danke für diese Ausführungen und die Einblicke. So konnte ich mir ein Bild verschaffen über den Aufwand und weis jetzt, woran ich gescheitert bin. Ahnungslosigkeit und Ungeduld, Die Filzwolle die ich herstellen wollte haben sich die Vögel geholt zum Nestbau und dort mit viel Geduld für ein weiche kuschelige Kinderstube gesorgt und 14 Jungvögel ausgebrütet, Es war eine Freude Sie mit den Kindern zu beobachten. Als sie ausflogen wurde uns so warm ums Herz, als hätten wir einen dicken Wolle- Pullover an. Hut ab vor jeder Spinnerin. Ich glaub ich müsste so etwas erst mal unter Anleitung mitmachen, um es später selbst umsetzen zu können. Ich bin dafür, dass das in den Lehrplan an Schulen mit aufgenommen wird.:-) Alles Liebe und Gute Ines

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